Lang ersehnt, mehrmals verschoben und nun endlich wieder da: Die 60. Ausgabe der größten Möbelfachmesse der Welt, dem Salone del Mobile, wurde vom 7. bis 12. Juni begleitet von der renommierten Küchenmesse EuroCucina 2022. Unsere italienischen Nachbarn zeigen uns voller Eleganz und Selbstbewusstsein, wohin die Reise für Küchenplanungen in den nächsten Jahre geht. Eleganter Retro-Chic mit kurvigen Möbeln und Rahmenfronten trifft auf handwerkliche Perfektion aus Stein und Stahl.
Die Mailänder Möbelmesse ist wieder da: Allen Widerständen zum Trotz
Es ist kein Herantasten an alte Zeiten, was die Italiener in Mailand auf die Beine gestellt haben. Keine Annäherung an die Zeit vor Corona; keine vorsichtige Version dessen, was eine Messe sein sollte. Vielmehr kann man den lebensfrohen Startschuss weithin knallen hören, als sich die Tore des 60. Salone del Mobile, der wichtigsten Möbelmesse der Welt, für seine Besucherinnen und Besucher öffnen und Tausende auf das imposante Messegelände der Mailänder Fieramilano strömen. Eine erwartungsvolle Energie liegt in der Luft, die sich aus Vorfreude, Erleichterung und gewissermaßen auch Resilienz speisen dürfte.
Über Monate hinweg war der Salone del Mobile – und mit ihm der globale Branchengipfel der Küchenindustrie, die EuroCucina – hinter vorgehaltener Hand angezweifelt worden: Ob denn die Möbelwelt schon wieder bereit für Neuheiten sei, nachdem der Einrichtungsmarkt während der Pandemie regelrecht boomte und sich nun zu erschöpfen drohe? Ob eine globale Messe ohne finanzstarke Besucher aus Fernost, vorrangig China und Russland, überhaupt Sinn ergebe? Und ob das aus der Not heraus geborene Datum – im Juni statt im April – kalendarisch nicht zu nah an anderen Designmessen des Jahres liege?
Springen Sie hier zu den Küchentrends vor, die wir Ihnen von der EuroCucina 2022 mitgebracht haben.
2 – Stahl, Edelstahl und Aluminium in der Küche
4 – Alles im Rahmen
5 – Schwarzes Holz
6 – Voluminöse Arbeitsplattenstärke
Eine Fotogalerie zu den Neuheiten der EuroCucina 2022 finden Sie hier.
Italiens Küchenmarken legen vor
Mailand hat diesen Vorbehalten meinungsstark und stilsicher ein Schnippchen geschlagen, was nicht zuletzt an der herausragenden Innovationskraft italienischer Möbelmarken liegen dürfte. Boffi, Cesar, Dada, Poliform und Scavolini sind an Eleganz kaum zu übertreffen und spielen gekonnt die gesamte Vielfalt ihres Planungsportfolios aus. Ganz selbstverständlich beziehen sie hochwertige Oberflächenmanufakturen für Stein, Keramik und Metall in ihre Entwürfe ein, präsentieren bedeutungsvolle Übergänge von der Küche zum Wohnraum und verführen mit großzügigen, maßgefertigten Ankleidezimmern.
Das Publikum quittiert das mit meterlangen Schlangen vor den Showrooms und Hinterhöfen der Mailänder Innenstadt. Das beliebte Künstlerviertel Brera scheint beflügelt von den designhungrigen Besucherinnen und Besuchern und zeigt sich 2022 mit einer bestechenden Atmosphäre aus Eleganz und Verwitterung. Italienischer könnte eine Messe kaum sein: Die mit Efeu bewachsenen Stadtpaläste Mailands locken mit weit geöffneten Fensterläden, das Klirren von Weingläsern und Besteck verspricht die lang ersehnte Geselligkeit der kreativen Köpfe der Welt. Die warme Luft ist erfüllt von anregenden Gesprächen; man ist froh, wieder hier zu sein.
Deutsche Küchenhersteller: mit angezogener Handbremse
Wer nicht dabei ist, wird sich hinterher ärgern, weil eben doch alles zusammenpasst: Das Wetter, die Neuheiten und die Neugier der Messebesucher, die wieder Lust am Austausch und auf das Leben haben. Viele namhafte deutsche Küchenhersteller haben ihre Teilnahme an der EuroCucina 2022 dennoch zuvor abgesagt.
Hiesige Produzenten befinden sich gewissermaßen in einer Schieflage: Wer international mitmischen will, stellt seine Neuheiten auf der EuroCucina im zweijährigen Turnus vor. Anschließend werden sie dem deutschsprachigen Markt auf den bekannten Herbstmessen präsentiert. Durch das mehrmalige Verschieben der EuroCucina haben viele Produzenten ihre Pläne jedoch bereits im September 2020 und 2021 einer größeren Öffentlichkeit vorgestellt.
Bulthaup, LEICHT und Poggenpohl bleiben dem großen Wiedersehen der Branche fern, doch auch die anwesenden Marken agieren mit angezogener Handbremse. Häcker, nobilia und next125/Schüller stellen die hierzulande bereits bekannten Möbelideen aus, die selbst in Italien – der digitalen Berichterstattung sei Dank – nicht mehr als Neuigkeit zünden wollen.
Das ist schade, steht doch das nächste internationale Möbelevent erst wieder in zwei Jahren an. Heißt es damit künftig „Trends made in Löhne“? Man vermag es sich nicht vorzustellen. Immerhin: Die deutschsprachigen Gerätehersteller waren umso tonangebender zugegen. Doch dazu später mehr.
Die traditionsreiche Premiummarke SieMatic versucht indes, in seinem Mailänder Flagshipstore wieder zu alter Größe zu gelangen. Ob man sich selbst bereits wiedergefunden habe zwischen all den Umwälzungsprozessen, durch die der einst familiengeführte Konzern in den vergangenen Jahren gegangen ist? SieMatic bejaht das. Die Kollektion, eine Melange aus alter Eleganz und ungewöhnlichen neuen Farben, soll das bisherige Klientel halten und frisches, junges Geld anziehen.
Die Trends der EuroCucina 2022
Es ist nicht alles neu, was glänzt. Aber so manches Mal begegnet uns auf der EuroCucina 2022 ein Retro-Trend, der besonders schön aufbereitet ist – so beispielsweise das Material Edelstahl. Überzeugen Sie sich mit uns von den Trends der EuroCucina 2022:
1 Runde, organische Formen
Es scheint, als habe die Zeit sozialer Distanzierung nicht nur den vielbeschworenen Rückzug in die eigenen vier Wände erzeugt, sondern auch eine besondere Sehnsucht nach Geborgenheit geweckt. Die findet die Möbelbranche in runden, organischen Formen und weichen Textilien wieder. Man merkt ihnen die Lust auf Spielerei und Sorglosigkeit an.
Sofas, Hocker, Sitzmöbel, Tische sind in kurvige Wattierungen verpackt und warten auf ihren kreativen Einsatz. Vom Fußgestell bis zur Lehne, vom Sofakissen bis zum Bezug erwarten uns viele Wohnmöbel, die den 1970er Jahren entlehnt sein könnten – allerdings ohne die knalligen Farben: Für die kommenden Jahre setzt man auf sanfte Pastelltöne, die den Wohnraum wie zuckerwatteweiche Polsterfolie auskleiden. Eine Wolke, auf der man sich niederlassen darf.
Übrigens: Auch in die Küche schaffen es diese Rundungen, allerdings bislang noch in niedriger Stückzahl. Kaum zu glauben, dass die sich s-förmig dahinschlängelnde Kücheninsel, die einst als exzentrisches Küchendesign entweder im sehr hohen oder aber sehr niedrigen Preissegment angesiedelt war, tatsächlich wieder Beachtung findet. Ihre Rückkehr in den alltäglichen Küchenraum scheint jedoch unwahrscheinlich. Spannender ist die Einbindung abgerundeter Natursteinoberflächen entlang der Kücheninsel, wie es beispielsweise Elmar Cucine aus Italien zeigt.
2 Stahl, Edelstahl und Aluminium in der Küche
Im scheinbaren Kontrast zu den wohldosierten, runden Formen der Möbelhersteller steht ein weiterer Küchentrend kühnen Ausmaßes: Wir erblicken metallische Akzente allerorten auf der EuroCucina 2022. Gemeint ist nicht die vorübergehende Ausprägung des Metallic Trends in kupfer- und messingfarbene Töne, wie sie im exzentrisch-eleganten Küchenbau mitunter gewählt werden. Vielmehr ist tatsächlich der klassische Edelstahl zurück. Warmgewalzt, poliert, in wellenförmiger Ausprägung oder mit bewusst zerkratzter Frontfacette begegnen uns Metallküchen in nahezu allen Showrooms und Ausstellungen der EuroCucina.
Blick zurück: Schon in der Saison 2019/2020 wurde dieser Trend für die kommenden Jahre ausgerufen. Die Pandemie setzte dem einen unvorhergesehenen Stopp. Nun bahnt sich Metall erneut seinen Weg in die heimischen Küchen – allerdings auf neue Art und Weise. Statt kühl und abweisend wirkt das Material durch seine Schraffur, seine Nachdunkelung mittels Oxidation und seine stilvolle, ruhige Einbindung mit warmen Komponenten wie Holz und Stein als Teil eines wohnliches Ensembles.
Gekommen, um zu bleiben: Diese neue Lesart könnte Edelstahl in der Küche dauerhaft aus seinem Nischendasein verhelfen, das es als professionelles Gastro-Material fristet. Selbst der sichtbarste aller Trends, die mit vertikalen Stäben ausgekleidete Front, wird im Metallic-Look sichtbar.
3 Vertikale(s) Streben
Obschon die deutschsprachigen Küchenhersteller nur in reduzierter Stärke auf der EuroCucina 2022 anzutreffen waren, hat sich ein Trend aus der kreativen Feder des hiesigen Unternehmens LEICHT auch in den Küchenentwürfen unserer italienischen Nachbarn manifestiert. Vertikale Streben finden sich in nahezu jeder Küchenausstellung wieder.
Die eng nebeneinander platzierten Stäbchen sind mal mehr und mal weniger breit gefasst, aus einem Holz geschnitzt oder sorgfältig aneinandergereiht. Sie finden sich nicht nur als Holzstreben wieder, die, wie eine Perlenkette schnurgerade aufgereiht, ein maritimes und beruhigendes Flair ausstrahlen. Auch vertikal strukturiert in Beton gepresst oder als wellenförmig verlaufende Stahloberfläche sieht man die rillenförmige Ausstrahlung überall wieder.
Es ist ein schöner Anblick, wenn auch mit hohem Wiedererkennungswert – und deshalb mehr oder weniger unoriginell kopierbar. Immerhin wachsen die Küchenräume dadurch optisch in die Höhe und auch die Zukunft der Branche deutet steil nach oben.
4 Alles im Rahmen
Ein weiteres Retro-Element der Küchengestaltung bahnt sich seinen Weg in die hochwertige Welt der Premiumhersteller: Neben rundgeschwungenen Möbeln und Leuchten, illuminierten Glasvitrinen und der wiederentdeckten Lust an Edelstahl erleben auch Rahmenfronten gewissermaßen ein Comeback in den nächsten Jahren. Gemeint ist nicht die zentrale Kassettenfront des Landhausstils, die nie wirklich weg war und in ihrer breiten Ausführung bestenfalls als skandinavisch-gemütlich charakterisiert wird.
Stattdessen setzen Hersteller nun auf sehr schmale, fein ausgearbeitete Eckrahmen, die in den Winkeln auf Gehrung gearbeitet sind und jeder Küchenfront Struktur und Habitus verleihen. Die Premiummanufaktur eggersmann macht es mit der „eggersmann framed collection“ vor, andere Produzenten ziehen nach. Gleich mehrmals ließen sich die filigranen Rahmenfronten auf der EuroCucina 2022 sichten, die der Ausgestaltung der puristischen Küche künftig etwas mehr Antlitz verleihen könnten.
5 Schwarzes Holz
Es findet zusammen, was zusammen gehört: Die beiden Alltime-Trends Holz und Schwarz treten auf der EuroCucina bei einer ganzen Handvoll an Herstellern als kongeniales Duett auf. Dunkel gemasertes Ebenholz oder schwarz geräucherte Eiche werden zu Edelstahl und mattem Lack kombiniert. Das verleiht der warmen Aura, die Holz üblicherweise ausstrahlt, zusätzlich eine distinguierte und gehobene Note.
Perfekt zum Schwarzholz-Trend vermag auch der Hype um die dunkel getönte Glasvitrine zu passen, die vielerorts als flächenbündiger Teil der Küchenzeile realisiert wird. Die diffuse, indirekte Ausleuchtung von Glasböden und Holzregalen trägt zum gehobenen Stimmungsbild bei. Einzig Vorsicht walten lassen sollten Käuferinnen und Käufer bei allzu großflächigem Einsatz der dunklen Holzfront: Das erinnert schnell an die alte, mitunter erdrückende Schrankwand früherer Jahrzehnte. Eine bessere Kombination für die moderne Küche ergibt sich mit Lack in gedeckten Farben, so beispielsweise Hellgrau, Beige und Weiß – oder auch mit goldbrillierenden Messingeffekten als Griff und Rückwand.
6 Voluminöse Arbeitsplattenstärke
Bisweilen amüsiert es, wie Trends aus Mode, Beauty und Handwerk einander ähneln. Wer dick aufträgt, kann in den Gegenjahren mit einer filigranen Antwort rechnen und umgekehrt – das betrifft nicht nur den Wechsel aus Minimalismus und Maximalismus, aus dicken und dünnen Augenbrauen oder knalligen und gedeckten Farben. Es betrifft auch das Formenspiel innerhalb der Möbelbranche.
Gerade wird in Mailand wieder eine dicke Lippe, pardon, Kante riskiert: Voluminöse Arbeitsplatten von mehreren Zentimetern Dicke sollen der Hochwertigkeit eines Küchenraums Nachdruck verleihen. Die gekonnte Zusammenstellung aus starker Arbeitsplatte und präzisem Handwerk hat schon früher funktioniert und ist nun zurück. „Slim fit“-Kanten, wie sie beispielsweise Dekton in nur 8 Millimetern anstrebt, werden vorwiegend als warmgewalzte Stahlplatte gezeigt, die ein meisterhaftes Wechselspiel zum dicken Naturstein eingeht.
7 Technische Exzellenz
Normalerweise schlägt die Stunde der deutschsprachigen Gerätehersteller erst auf der IFA in Berlin – traditionell werden dort Anfang September die Neuheiten für Technik, Accessoires und Armaturen vorgestellt. Fast jeder Produzent hatte sich aber ein Schmankerl für die EuroCucina 2022 aufgehoben. V-ZUG präsentierte seine Premiumserie „Excellence Line“, die mit dem neuartigen „PowerSteam“ nun sogar einen Dampfbackofen mit integrierter Mikrowelle im Sortiment beinhaltet.
Bosch Hausgeräte überzeugte mit einer gehobenen Aufmachung von „10 Jahren Bosch accent line“ und stellte in diesem Zusammenhang einen neuen Kühlschrank mit integrierter Kamera vor.
Siemens Hausgeräte wählte den großen Auftritt, um sein neues Marken-Image zu enthüllen: Künftig tritt der Konzern, der bislang seine visionäre Technik in den Vordergrund der Unternehmenskommunikation stellte, weitaus nahbarer auf. Die „intelligente Küche“, ein Forschungs- und Fokusprojekt von Siemens, soll mit kundenzentrierter Ansprache, warmen Farben und persönlichen Geschichten einhergehen.
Perfektes Storytelling leistet indes die Luxusmarke des BSH-Konzerns, der traditionsreiche Hersteller Gaggenau: Mit einer imposanten Ausstellung in der ehrwürdigen Villa Necchi in Mailand verknüpft der Konzern seine bis 1633 zurückreichende Historie mit einem perfekt arrangierten Gegenwartsbezug, in dem sich Luxus, Handwerk und Genuss auf Augenhöhe begegnen.
Einen besonderen Moment hat übrigens auch Produzent Quooker mit der EuroCucina2022 abgepasst: Die stark nachgefragte Kochendwasser-Armatur erscheint im kommenden Jahr in neuem, minimalistischen Design.
Mehr zu den einzelnen Messe-Konzepten sowie Neuheiten der Gerätehersteller erfahren Sie in den kommenden Wochen auf unserem Magazin.
Fazit zur EuroCucina 2022: Geklotzt, nicht gekleckert
Die EuroCucina 2022 setzt überwiegend starke Akzente. Das fällt ihr leicht, weil die Freude und Lust an Neuigkeiten aus der Branche groß ist – und weil die Küchenindustrie, im Gegensatz zu anderen Sparten, während der Pandemie sogar gehörig Wachstum verzeichnen durfte. Mit einigen ausgestellten Trends laufen Hersteller ihrer Zeit hinterher; andere offenbaren schlichtweg Klassiker, die trotz aller Terminverschiebungen auch 2022 ihre Gültigkeit behalten. Auffällig sind die retrospektiven Anlehnungen an frühere Einrichtungsstile, die in den modernen Zeitgeist der Küche eingebunden werden.
Es bleibt spannend zu sehen, was deutsche Küchenhersteller für die anstehenden Herbstmessen aus dem italienischen Branchengipfel mitnehmen werden – und ob sich ihre Entwürfe erneut vom italienischen Nachbarn inspirieren lassen, oder ob diese Zeit der gegenseitigen Einflussnahme endgültig vorbei ist.
Das bräsige Innehalten einer gesättigten Küchenindustrie ist jedenfalls offiziell vorbei. Ab sofort werden wieder großartige Neuigkeiten erwartet. Mailand hat das mit einem großen Kraftakt gezeigt: Es wird wieder geklotzt und nicht gekleckert.
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