Die Hochglanz-Küche ist wieder da. Erste Hersteller zeigen, wie sich die einstige Trendfront geschickt mit aktuellen Oberflächen kombinieren lässt: Rille, Stein und Spiegel ergänzen sich nämlich hervorragend mit dem anmutigen Lack. Die Wiederkehr setzt dem „Cocooning“ ein Ende und rückt die Küche „glanzvoll“ ins Geschehen. Bis zum Comeback gibt es aber noch einiges zu tun.
Im Englischen gibt es eine Redewendung, die da heißt: What goes around, comes around. Mit anderen Worten: Alles kommt irgendwann wieder. Das trifft nicht nur aufs Karma, sondern seit jeher auch auf Trends in Mode, Design und Popkultur zu – und macht 2024 selbst vor der Küche nicht Halt. Wer also der Retro-Stilistik einer Hochglanz-Küche wortreich abgeschworen hat, wird dieses Jahr eines Besseren belehrt: Der Zeitgeist der Nullerjahre kehrt zurück. Und mit ihm Küchen, die einen glanzvollen Eindruck hinterlassen. Hochglanzlack ist wieder „en vogue“.
Vorteile einer Hochglanz-Küche
Das Comeback schleicht sich auf leisen Sohlen an. Auf der internationalen Leitmesse der Küchenbranche in Mailand, der EuroCucina, ließen sich im April 2024 bereits hier und da dezent spiegelnde Hochglanzlackfronten erspähen. Sie fallen auf in der nahezu amorphen Masse aus Mattlackoberflächen, die den Küchenmarkt seit mehreren Jahren dominieren – auf italienischer wie auf deutscher Seite.
Zuvor galt Hochglanzlack lange Zeit als das Nonplusultra der gehobenen Küche: Mit brillantem Farbschimmer und lichtreflektierenden Oberflächen, die die zugehörigen Küchen ganz wortwörtlich zum Schmuckstück des Wohnraums erhoben. Als eleganter Gegensatz zu den Kunststoff- und Holzoberflächen der Nullerjahre wirkten Hochglanzfronten so anmutig wie vorwärtsgewandt – und waren, trotz ihres hohen Anschaffungspreises, eine echte Alternative zu teuren Glasfronten. Zugleich zogen mit den spiegelnden Oberflächen erstmals mutige Nuancen in den modernen Küchenraum ein. Ferrari-Rot, Indigo-Blau, ein sattes Wiesen-Grün: Dank der luxuriösen Leichtigkeit, die die Hochglanz-Küche bis heute ausstrahlt, waren kräftige Farbakzente nicht nur möglich, sondern auch ausdrücklich erwünscht.
Bis heute reihen sich Hochglanzlack-Fronten in die Riege begehrenswerter, weil „echter“ Materialien“ in den Küchenraum ein: Neben Stein, Holz, Stahl und Glas macht die glänzende Oberfläche eine bemerkenswert gute Figur in der modernen Küche – und ist auch haptisch nach wie vor eine Sensation.
Nachteile einer Hochglanz-Küche
Was die damalige Euphorie Anfang der 2010er Jahre zu Fall gebracht haben dürfte, ist nicht allein dem Zeitgeist geschuldet, der jedem Hype nach ein paar Jahren eine sichere Trendumkehr prognostiziert. Das vorläufige Ende des Hochglanzlacks war auch eine Frage von Funktionalität und Materialität.
Zum einen ist die klassische Hochglanz-Küche anfällig für Kratzer, Dellen oder Abschürfungen. Je nach Tiefe der Lackschicht wird das darunter liegende Trägermaterial dann schnell sichtbar. Ein simples Polieren oder Abschleifen ist nur schwer möglich. Es gibt allerdings spezielle Schutzlackierungen, die die Anfälligkeit einer Hochglanzlack-Küche für oberflächliche Makel deutlich verringern können (nicht aber für Fingerabdrücke!). Das gilt auch für Schmutz: Echtlack wird durch gewisse Pflegetücher statisch aufgeladen und zieht Staub dann in besonderem Maße an. Antistatische Reinigungsmittel oder eine Klarlackschicht schaffen dem Abhilfe. Es dürfte erwartbar sein, dass Küchenhersteller mit einer steigenden Nachfrage nach Hochglanz-Küchen neue Methoden und Materialien entwickeln, um die Widerstandsfähigkeit einer Lackküche zu erhöhen.
Zum anderen ist Hochglanz nicht gleich Hochglanz: Echtlack ist eine Preisfrage und wird häufig von günstigeren Werkstoffen kopiert und ersetzt. So wurden bereits vor Jahren unempfindlichere Acrylfronten oder sogar Folienfronten populär, die eine aufgeklebte, hauchdünne Deckschicht auf einem Trägermaterial bezeichnen. Die Nachteile jener Oberflächen sind hinreichend bekannt: Die Verarbeitung dieser Produkte ist weder langlebig noch ökologisch sinnvoll.
Die Abkehr von der Hochglanz-Küche vor rund einem Jahrzehnt – und das damit verbundene Einläuten des Mattlack-Küchentrends – war schlussendlich aber auch eine Frage des Geschmacks: Unter dem Einfluss der wiederentdeckten Bauhaus-Architektur, begleitet von brutalistischen Betonwänden und einer puristischen Abkehr von Glanz und Gloria, wurde der Hype um Hochglanzfronten schwächer. Der betont bodenständige Scandi-Chic aus Dänemark und Schweden dürfte zugleich verdeutlicht haben, dass Luxus auch leise Töne anschlagen darf. Die offene Küche gleicht seitdem einer Hommage an die maßvolle Zurückhaltung: Geradlinig und ganzheitlich reihen sich Küchen- und Wohnmöbel in matter Optik in den Raum ein. Damit könnte jetzt Schluss sein.
Die Hochglanz-Küche 2024: It’s showtime
Man könnte nun sagen: Die Wiedergeburt eines Trends ist stets nur eine Frage der Zeit. Die Gleichförmigkeit mattierter und mattlackierter Oberflächen, darunter Schichtstofffronten in HPL oder Fenix, erforderte über kurz oder lang zwangsläufig das Comeback der Hochglanz-Küche. Jedoch scheinen die kommenden Trendprognosen, nach jetzigem Stand, ein gleichberechtigtes Miteinander von Hochglanz und Mattlack zu erlauben. Zelebriert wird eine Fülle an Oberflächenstrukturen, Farben und Mustern im modernen Küchenraum – sowohl von Herstellern als auch von Planenden wie Käuferinnen und Käufern.
Dabei wird sogar die Funktionalität bedacht. Mittlerweile haben sich nämlich selbst die preisgünstigen Alternativen zur Echtlackfront entscheidend weiterentwickelt: Mit Lacklaminat und speziellen Beschichtungen, beispielsweise sogenanntem „Polygloss“, sind künstliche Hochglanzlack-Küchen nunmehr bedeutend kratzresistenter und verfügen über eine tiefere Farbbrillanz. Echtlackfronten sind wiederum durch Spezialbeschichtungen besser vor Fingerabdrücken oder statischer Staubaufladung geschützt.
Tatsächlich ist eine Hochglanz-Küche somit deutlich pflegeleichter als eine Mattlack-Küche: Spuren und Schmutz lassen sich nach dem Kochen mit einem Pflegetuch und warmem Wasser rasch wieder beseitigen, wohingegen matte Lack- oder Kunststofffronten für eine bessere Handhabung zwingend mit einer Anti-Fingerprintbeschichtung ausgestattet sein sollten.
Die „Wiederentdeckung“ von Griffen und Stangen als stilbildendes Element der Küchenplanung macht das Ganze natürlich ebenfalls einfacher: Ohne „push to open“-Mechanismen bleibt schließlich jede Art von Oberfläche deutlich länger sauber und geschützt.
Hochglanz-Küche: Eleganz und Leuchtkraft
Hochglanzlack erzeugt zudem einen attraktiven Kontrast zu gegenwärtigen Interior-Trends: Die glatte und glänzende Oberfläche ist ein faszinierender Gegenspieler zu schweren Steinen und der beliebten Rillenstruktur, die den Anblick einer Küche optisch bricht. Neue Modelle tauchen das Material in ein leuchtendes Farbspektakel, das wiederum den betont naturnahen Nuancen aus Weiß, Grau, Beige und Braun einen lebendigen Anstrich verleiht. Orange und Koralle als farbstarke Lackierungen sind speziell für kleinere Sideboards oder schmale Einzelhochschränke ein so gewagter wie eindrucksvoller Einschnitt im minimalistischen Einerlei.
Wie absehbar das Comeback der Hochglanzlack-Küche ist, lässt sich auch am verstärkten Einsatz von Spiegelfronten ablesen, die die führenden Küchenmessen als Herstellerneuheit präsentieren. Beide Oberflächen, also verspiegelte und hochglanzlackierte Fronten, vergrößern den Küchenraum optisch und erzeugen eine schwebende Leichtigkeit von zentimeterstarken Arbeitsplatten und Korpussen. Gemeinsam mit ausgewählten Farbnuancen entsteht so eine pulsierende Freude am Lebensort Küche, die viele Menschen nach dem sogenannten „Cocooning“ der Coronajahre vermisst haben dürften.
Interessant bleibt indes der Blick auf unsere Nachbarländer: Hochglanzlack war in der italienischen Küche nämlich nie ganz weg. Seit jeher legen Küchenhersteller jenseits der Alpen Wert auf maximalistische Opulenz. Dort säumen schwere Stoffe, zentimeterdicke Steine und brillante Echtlackoberflächen ganz selbstverständlich das gehobene Interior Design.
Dass die Hochglanz-Küche nun möglicherweise auch deutsche Küchenräume wieder erobert, könnte langfristig eine Abkehr von skandinavischer Ästhetik bedeuten. Kein Grund zur Sentimentalität für all jene, die es lieber mit minimalistischer Askese halten: What goes around, comes around. Jeder Trend erlebt sein Comeback. Fürs erste aber scheint Sehen und Gesehenwerden wieder zur Maxime zu werden: The party has arrived.