Wenn am Ende eines Jahres die Küchentrends für das folgende Jahr ausgerufen werden, klingt das nach bahnbrechenden Veränderungen. Oftmals sind es aber nur kleinteilige Neuerungen, die Hersteller präsentieren. Unsere Kolumnistin fragt sich, wann ein Trend dann überhaupt zum Trend wird – und wer dafür verantwortlich ist, dass er uns so lange prägt. Ein Vergleich mit Mode hat ihm geholfen – lesen Sie selbst:
Warum die wahren Küchentrends nicht kurz-, sondern langlebig sind
Mit Trends ist das so eine Sache: im Volksmund stehen sie für kurzzeitige Phänomene, die kommen und gehen. Die etwas über den jeweiligen Zeitgeist aussagen, aber nichts wirklich Beständiges an sich haben. Das mag für einzelne Objekte gültig sein, aber niemals für einen gesellschaftsverändernden Trend, weiß Lidewij Edelkoort, die als wichtigste Trendforscherin der Welt gilt. Im Interview mit dem SPIEGEL* erklärt sie sogar: „Trends entwickeln sich unglaublich langsam. (Wenn Trends sich durchsetzen…), bleiben sie uns sehr lange erhalten – zumindest, wenn sie etwas grundlegend verändern.“
Diese Worte treffen nicht nur auf Mode oder Äußerlichkeiten, sondern durchaus auch auf Küchentrends zu. Wer bemängelt, dass die offene Küche noch immer als „Trend“ gehandelt wird, sollte im Hinterkopf behalten, dass dieser Wandel Teil einer großzügigeren Raumarchitektur mit mehr Licht, Luft und Platz im Allgemeinen ist und, im weitesten Sinne, auch den gesellschaftlichen Wandel der letzten Jahrzehnte widerspiegelt, indem er Frauen aus abgeschlossenen Räumlichkeiten hinter dem Herd hervorgeholt und die Küche zum zentralen Thema der ganzen Familie gemacht hat.
Mode und Innenarchitektur ähneln einander in Sachen Trends
Um Trends in der Innenarchitektur, also beispielsweise Küchentrends, zu erklären, lohnt es sich, zu einem Vergleich in der Mode zu greifen, die von ihrer Branche mehrmals pro Jahr neue Trends zugeschrieben bekommt, sich aber in Wahrheit auch nur im Laufe von Jahren, wenn nicht gar Jahrzehnten, ändert.
Ähnlich verhält es sich mit dem Einrichten des Küchenraums. Ein kurzlebiger Trend mag eine besonders auffällige Küchenfarbe sein, oder eine Dunstabzugshaube, die Musik abspielen kann. Beides begeistert, setzt sich aber in der Masse höchstwahrscheinlich nicht durch, weil es nicht bedeutsam genug für die Weiterentwicklung des architektonischen Gedankens ist.
Die Gründe, ob ein Trend erfolgreich wird oder nicht, hängt nicht nur von der Masse an Leuten ab, die ihm folgen, sondern auch von den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Vorzeichen. Dazu ein paar Gedanken:
Gründe, warum Küchentrends langlebig werden – und welche gerade aktuell sind
1 Gesellschaftlicher Einfluss auf Küchentrends: Beispiel der Landhausküche
Beginnen wir wieder mit einem Blick auf die Mode: während das bauchfreie Top hier und da mal hervorgeholt, ihm im Gesamtkontext aber keine größere Bedeutung zugemessen wird, lässt sich ganz allgemein konstatieren, dass die Mode für Frauen seit den 50er Jahren großzügiger, freiheitlicher und – damit einhergehend – auch individueller geworden ist. Die Rolle der Frau und die Gleichberechtigung der Geschlechter als Überthema hat sich in der Mode als Trend niedergeschlagen; allerdings als jener, der langlebig ist und sich so schnell nicht wieder umkehren lässt – zum Glück.
In der Innenarchitektur bedeutet die Öffnung des Küchenraums – wie zu Beginn beschrieben – die Abkehr von alten Geschlechterrollen und ist damit ein Trend, der mit Sicherheit irreversibel bleibt. Männer bekleiden heute nicht mehr nur hohe Posten als Chefköche, sondern schwingen auch in der eigenen Küche viel öfter den Kochlöffel als noch vor 30 Jahren.
Die Gesellschaft nimmt aber auch dank politischer und sozialer Stimmungen Einfluss auf beliebte Einrichtungsstile wie Biedermeier, Purismus und Co.: in den letzten Jahrzehnten haben wir beispielsweise den Übergang von einem als altmodisch empfundenen Landhausstil zu den modernen, puristisch und klar geschnittenen Küchen der Nullerjahre erlebt. Nun, da wir seit gut 20 Jahren mit minimalistischen Küchenentwürfen leben, macht sich allerdings die allmähliche Rückkehr des Interesses an Landhausküchen bemerkbar, die mit schlichtem Design viel moderner als ihre Vorgänger erscheinen. Gesellschaftlich kann das die Sehnsucht nach bodenständigerer Architektur in unruhigen Zeiten bedeuten – für die Trendforschung ist es zugleich der Beweis, dass auch langfristige Trends nach ihrem Verschwinden wiederkehren können.
2 Wirtschaftlicher Einfluss auf Küchentrends: die Küche als neues Statussymbol
Vielleicht erinnern Sie sich an die Erzählung Ihrer Eltern, die die ersten Jeans damals als eine Errungenschaft feierten: ein nie dagewesener Stoff, ein cooler Schnitt aus Amerika und ein unglaublich stolzes Gefühl beim Tragen der Hose, die zum Symbol einer rebellischen Jugend werden sollte. Die erste Generation, die den wirtschaftlichen Aufschwung der 60er Jahre und den Beginn des globalen Konsums für sich nutzen durfte, anstatt sich mit den Nachwehen des Krieges auseinanderzusetzen.
Großer Sprung nach vorn: nachdem die Wohlstandsgesellschaft in Deutschland sich in den darauffolgenden Jahren zunächst dem Traum vom eigenen Haus, dann vom eigenen Auto und schließlich von allerlei technischen Geräten wie Fernseher und Waschmaschine erfüllte, wird heute die Küche als das neue Statussymbol gehandelt. Der langlebige Trend, der hier auszumachen ist, wird also sein, dass die Wertigkeit der Küche in den kommenden Jahren weiter steigt und die Menschen noch mehr Geld in die Hand nehmen, um sich langlebige Materialien, hochentwickelte Geräte und funktional angelegte Küchenräume leisten zu können. Die florierende Wirtschaft gebietet es, dass Menschen sich damit auseinandersetzen können, weil Grundbedürfnisse gesichert sind.
3 Praktischer Nutzen als Einfluss auf Küchentrends: Früher war nicht alles besser
Wer beim Begriff Design an Schönheit und Ästhetik denkt, hört vielleicht weniger gern, dass auch der praktische Nutzen einen großen Einfluss auf die Langlebigkeit von Trends hat. Stiefel aller Art kommen und gehen in der Mode jedes Jahr, aber wer tatsächlich durch schmutzige Schlaglöcher und Felder waten muss, kommt niemals um Gummistiefel herum.
Etwas greifbarer wird das Thema bei Küchentrends: bereits jetzt als langlebiger Trend kann die Einführung des Kochfeldabzugs gesehen werden, weil das Verschwinden der sperrigen Dunstabzugshaube vom Küchenbild nicht nur einen ästhetischen Unterschied macht, sondern auch funktionale Vorteile bietet. Weil die Luft am Downdraft dort abgezogen wird, wo sie entsteht – nämlich am Kochfeld – und mit höherer Geschwindigkeit Wrasen einzieht, als sie aufsteigen können, arbeitet ein Kochfeldabzug auch effektiver, als eine deckenhängende Haube. So gesehen wird der „Trend“, den viele Leute zunächst skeptisch betrachtet und zunächst nur getestet haben, in den kommenden Jahren zum selbstverständlichen Teil einer jeden Küchenplanung.
4 Ein gemäßigter Wandel als Einfluss auf Küchentrends: bloß nicht zu schrill
Ein Grund, warum Trends als kurzweilig wahrgenommen werden, obwohl es Jahre oder Jahrzehnte dauern kann, mit Gewohnheiten zu brechen, ist der schrille Versuch von Designern und Planern, mit möglichst gegensätzlichen Entwürfen jedes Jahr eine Trendwende heraufzubeschwören. Die Mehrheit der Bevölkerung mag es aber lieber gemäßigt: statt allzu eng anliegender oder all zu weit geschnittener Hosenbeine ist in der Mode das Mittelmaß oft genau richtig.
So verhält es sich auch in der Innenraumplanung, respektive bei Küchentrends: als die ersten, plötzlich alleinstehenden Einheiten der Modulküche vorgestellt wurden, betrachtete jeder die neue Planungsfreiheit interessiert. Heute ist es eine Selbstverständlichkeit, dass Kücheninseln freistehend den Raum dominieren – und dennoch mit einer festen Küchenzeile kombiniert werden, um Struktur und Stauraum zu schaffen. Monoblöcke für Schneidarbeiten, Kochfeld oder Spüle haben sich in den wenigsten Küchenräumen etabliert.
Erst die langsame Gewöhnung der Menschen an eine innenarchitektonische Neuheit – oder deren wohldosierter Einsatz in gewohnter Umgebung – kann aus einem Trend einen langfristigen Richtwert machen. Das mag schlussendlich auch das unsichtbare Naturgesetz sein, dass dem Verfalldatum von Trends unterliegt: je besser ein Trend für die Zukunft der Gesellschaft ist, desto länger wird das Offenkundige als etwas Besonderes zelebriert. Wir sollten uns über die offene Küche als „Trend“ also immer noch freuen.
*Interview in „S – das Stilmagazin des SPIEGEL“, Ausgabe 41/2018