Es läuft rund: Kreislaufwirtschaft in der Küchenbranche

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Die Industrie setzt auf „höher, schneller, weiter“. Die Kundschaft wiederum auf „smarter, nachhaltiger, praktischer“. Kommt es unvermeidlich zum Clash, wenn Umwelt auf Wirtschaft und Klimakrise auf Wachstum trifft?
Nicht unbedingt, sagt Anna Goldhofer. Die Industrie- und Werkstoffingenieurin ist das beste Beispiel: Sie arbeitet beim Autobauer BMW. Zugleich setzt sie sich seit Jahren für die Umwelt ein – und gründete mit Mitstreitern und Mitstreiterinnen sogar das Netzwerk „CRITICAL FRIENDS“. Die übergreifende Plattform für Mentoring und Coaching will aufklären und zeigen, wie Unternehmen profitabel und umweltbewusst agieren können. Und Kunden sowie Kundinnen davon sogar profitieren. Ihre Message: Kreislaufwirtschaft ist künftig ein Muss – auch für die Küchenbranche.

Kreislaufwirtschaft in der Küchenbranche: Endlich unendlich?

Herstellen, benutzen, wegwerfen – und wieder von vorne: Aktuell gleicht unsere Wirtschaft noch einer Einbahnstraße.  „In der Linearwirtschaft werden Ressourcen und Rohstoffe gefördert, verarbeitet und für einen bestimmten Verwendungszweck genutzt. Nach Ablauf der Produktlebensdauer werden diese Produkte entsorgt“, erklärt Anna Goldhofer genauer und prophezeit: „In einer Welt mit endlichen Ressourcen ist für diese Wirtschaftsform ein Kollaps vorprogrammiert.“
Besonders besorgniserregend: Die meisten Produkte werden weggeworfen – aber nicht richtig entsorgt. „Tatsächlich werden nur 9 Prozent des weltweiten Plastikmülls recycelt. 12 Prozent werden verbrannt. Die restlichen 79 Prozent verbleiben entweder auf Mülldeponien oder landen fälschlicherweise im Meer“, weiß die Expertin. Dazu zählen nicht nur Verpackungen oder Geräte, sondern auch Materialverschnitt, Produktionsüberschüsse oder Logistikequipment. Allein in Deutschland bildeten Abfälle aus Produktion und Gewerbe mit rund 50 Millionen Tonnen im Jahr 2019 die zweitbedeutendste Abfallgruppe!

Anna Goldhofer, Ingenieurin bei BMW und Gründerin von Critical Friends bei einem Pandeltalk auf der IAA Mobility
Anna Goldhofer, Ingenieurin und Geschäftsführerin von CRITICAL FRIENDS, nutzt Paneltalks, um über nachhaltige Maßnahmen aufzuklären – wie hier auf der IAA Mobility (Foto: CRITICAL FRIENDS – Sascha Hilgers)

Was bedeutet eigentlich Kreislaufwirtschaft?

Um das Wirtschaftssystem langfristig generationengerecht und klimaneutral zu machen, führt daher kein Weg an der Kreislaufwirtschaft vorbei. Allgemein liegt dabei der Fokus auf der Wiederverwendung und dem Recycling von Materialien, um den Ressourcenverbrauch und die Umweltbelastung zu reduzieren. „Dies geschieht durch die Schließung von Material- und Energiekreisläufen über die Produktion, Nutzungsphase und Verwertung von Produkten, die Steigerung von Material- und Produkteffizienz und die Verlängerung der Lebensdauer von Materialien und Produkten“, führt Anna Goldhofer aus. Nur, wenn Ressourcen effizienter genutzt und Emissionen verringert werden, hat die Zukunft unseres Planeten eine echte Chance.

Die grifflose Küchenzeile oin Oliv von Rotpunkt Küchen versprüht mediterranes Flair! Die kompakte Küchenzeile verlässt sich auf ihre elegante Farbgebung und klare Linienführung. Ohne Griffe zeichnet sich ein einheitliches Frontenbild ab, das um schwarze Nuancen ergänzt wird. Eine 17 mm Arbeitsplatte in Black Stone unterstreicht das moderne Stilbewusstsein, in das sich Olive Green wunderbar einfügt.
Rotpunkt Küchen setzt starke Zeichen: Seit mehreren Jahren lassen sich nahezu alle Modelle auch in der „Greenline-Edition“ bestellen, die aus wasser- und ressourcenschonenden BioBoard-Platten hergestellt werden. (Foto: Rotpunkt Küchen)

Die Küchenbranche auf dem Weg in die Kreislaufwirtschaft: Wie gelingt das?

Doch wo sollen Hersteller anfangen? Und auf welche Punkte können Kundinnen und Kunden beim Küchenkauf achten? Anna Goldhofer nennt einige Anreize, die für die Möbel- und Küchenbranche auf dem Weg in die Kreislaufwirtschaft relevant sind – und von einigen Marken tatsächlich schon umgesetzt werden.

1. Grünstrom

Grünstrom ist der größte und direkteste CO2-Hebel, der uns zur Verfügung steht“, weiß die Ingenieurin. Für die Praxis bedeutet das: weg von fossilen Energieträgern, hin zu Strom aus erneuerbaren Energien. Einige Küchenhersteller sind bereits dabei, ihre Produktion umzustellen. So verwendet Rotpunkt Küchen als Heizmaterial beispielsweise Sägespäne und Spanplatten-Abfälle, um autark Wärme herzustellen. Darüber hinaus setzt das Unternehmen komplett auf Ökostrom. Ebenso LEICHT Küchen: Das Unternehmen bezieht seit 2020 seinen gesamten Stromverbrauch aus regenerativen Quellen. Auch Häcker Küchen bezieht einen Großteil seines Stromverbrauchs durch eigene Photovoltaik-Anlagen.

Vorbild in der Kreislaufwirtschaft: Küche von LEICHT. Produktion mit regenerative. Stromquellen. Haus mit Galerie. Küche in weiß und dunklem Holz. Mit Kücheninsel mit Essplatz
Vorbild: Der Küchenhersteller LEICHT setzt seit 2020 bei der Produktion auf regenerative Stromquellen. (Foto: LEICHT / Chris Snook)

2. Zero-Waste-Design

Good News: Die Verarbeitungstechniken entwickeln sich schnell weiter, wodurch bei der Produktion viel Verschnitt von Holz oder Stein, beispielsweise als Abfallreste von Möbeln und Arbeitsplatte, reduziert werden kann. „Das Prinzip des Zero-Waste-Designs geht aber einen Schritt weiter und integriert diesen Gedanken bereits in die Entwicklungsphase. Wie können Produkte so gestaltet werden, dass möglichst wenig oder gar kein Abfall entsteht?“ so Anna Goldhofer. Firmen können ihre Designs optimieren, Kundinnen und Kunden durch zeitlose Ästhetik aber ebenfalls dagegen steuern: Je weniger ein Produkt von vorherrschenden Trends dominiert wird, desto länger bleibt es womöglich in Besitz. Der Premium-Küchenhersteller bulthaup beispielsweise ist für seine minimalistischen und zeitlosen Formen bekannt. Die Verwendung von heimischen Hölzern, beispielsweise Eiche, unterstreicht die Bemühungen, Designs zu kreieren, die über modische Trends hinaus Bestand haben​​.

bulthaup Küche b3 in cremefarben und im angesagten Skandi Stil, grifflos mit Kücheninsel
Ob als Kücheninsel oder Funktionswand: bulthaup b3 fasziniert als multifunktionales Küchen- und Raumsystem mit Planungsvielfalt und gestalterischer Freiheit (Foto: bulthaup)

3 . Richtige Materialauswahl

Zugegeben: Manchmal ist Verschnitt oder Abfall unvermeidbar. Dann sollten Unternehmen jedoch darauf achten, dass die genutzten Stoffe kreislauffähig sind. Für Anna Goldhofer bedeutet das, dass sämtliche eingesetzte Materialien hochwertig recycelt werden können – im Falle von Metallen und Kunststoffen also eingeschmolzen und neu aufbereiten werden können. Das müsse bereits in der Entwicklungsphase beachtet werden.
Helfen kann außerdem die Berechnung der CO2-Bilanz bei der Bewertung verschiedener Materialien. Das heißt: Stoffe mit schlechter Ökobilanz (z.B. Leder, Schaum, Primär-Aluminium) sollten durch nachhaltigere Alternativen (z.B. vegane Innovationen, Sekundär-Metalle) ersetzt werden.

4. Design for Disassembly

„Design for Disassembly“, was wörtlich übersetzt so viel wie „Kreieren für die Demontage“ bedeutet, ist ein Designkonzept, das darauf abzielt, Produkte so zu gestalten, dass sie am Ende ihres Lebenszyklus leicht zerlegt und recycelt werden können. Beispielsweise, indem permanente Verbindungen vermieden werden und anstelle von Klebstoffen oder Schweißnähten überwiegend auf Schraub- oder Schnappverbindungen gesetzt wird.
„Dadurch ist es möglich, hochwertige Teile für einen separaten Verwertungsprozess auszubauen“, erklärt die Expertin. Und: Der Design for Disassembly-Ansatz ist nicht nur ökologisch vorteilhaft, indem er die Wiederverwendung und das Recycling von Produkten fördert, sondern kann auch wirtschaftliche Vorteile bieten, etwa geringere Entsorgungskosten und die Generierung potentiellen Materials für den Wiedereinsatz.

5. Reparatur- bzw. Erweiterungsoptionen

Ist wirklich jede Küchenerneuerung eine Umwelt-Sünde? Nicht zwingend – solange einige Punkte dabei beachtet werden. Zum Beispiel sollte vermeintlich Kaputtes nicht sofort entsorgt werden. Eine Reparatur lohnt sich in vielen Fällen, das gilt sowohl für Küchenmöbel als auch für Einbaugeräte. So bietet beispielsweise Bosch im Rahmen des BlueMovement-Programms einen kostenfreien Reparaturservice für eine Auswahl an Elektrogeräten an. Siemens Hausgeräte wiederum punktet mit einem umfassenden Ersatzteil-Sortiment für seine Hausgeräte, wobei viele Original-Ersatzteile sogar über längere Zeiträume verfügbar sind. Dies ermöglicht den Kundinnen und Kunden im Bedarfsfall einzelne Elemente auszutauschen, anstatt das ganze Gerät ersetzen zu müssen.
„Aber auch das Konzept einer ‚mitwachsenden Küche‘ wäre eine nachhaltige Option. Zum Beispiel, um um die Küche im Falle eines Umzugs mitzunehmen oder, je nach Lebenssituation, anzupassen und zu erweitern. Voraussetzung dafür: Eine leichte Demontage, sowie eine Auswahl an Erweiterungsmodulen. Außerdem wäre es wünschenswert, wenn Hersteller nicht nur passende Möbelteile anbieten – sondern die Kundschaft bei solch einem Vorhaben auch mit einem ausgebauten Service unterstützen“, schlägt Anna Goldhofer vor. Namhafte Hersteller wie bulthaupeggersmann oder USM Haller bieten modulare Möbelserien für die Küche an. Auch das Unternehmen Noodles Authentic Kitchen Furniture, das sich auf industrielle Stahlmöbel spezialisiert hat, setzt auf den Mix&Match-Look.

Regal von USM Haller in weiß in der Küche. Als Küchenzeile und Kücheninsel
Küchen-Module, die sich nach Belieben erweitern oder umziehen lassen, erhöhen die Nutzungsdauer und sind somit nachhaltiger. (Foto: USM Haller)

6. Rückwärtslogistik

Das Feld von hinten aufgerollt: Unter Rückwärtslogistik versteht man die Rücksendung von Materialien oder Produkten an den Hersteller oder Händler. Das Ziel sollte dort sein: Reparatur, Aufbereitung oder Recycling. Diese „nachhaltige Rücknahme“ ist laut Anna Goldhofer unabdingbar für eine funktionierende Kreislaufwirtschaft – nicht nur in der Küchenbranche.
Im Bereich der Arbeitsplatten ist der Hersteller STRASSER Pionier: Er bietet einen Rücknahme-Service für alte Steinplatten an. Dieser Service ist in Deutschland und Österreich verfügbar und gilt auch für Platten anderer Hersteller. Die zurückgenommenen Platten werden recycelt und zu neuen Produkten verarbeitet, was ein ganzheitliches Kreislaufsystem darstellt, das Ressourcen schont und den Abbau von Naturstein reduziert​​. Für dieses „Re-Stoning“-Kreislaufsystem erhielt Strasser Steine 2023 sogar den Hermes Klimaschutzpreis.

Arbeitsplatten oder ganze Küchenblöcke aus Granit sind keine Seltenheit im gehobenen Küchenraum. Doch da geht noch mehr. (Foto: Strasser/ ST-ONE)
Wohin mit Arbeitsplatte oder Kücheninsel, wenn die Küche erneuert wird? Spezialist STRASSER nimmt Natursteinplatten zurück und verarbeitet ihn neu. (Foto: Strasser/ ST-ONE)

7. Sharing is Caring

„Eine funktionierende Rückwärtslogistik existiert oft bereits in Sharing-Modellen. Anstatt Produkte zu verkaufen, werden Funktion oder Nutzwert der Dienstleistung, die das Produkt erbringt, verkauft. Das Produkt wird also lediglich zur Verfügung gestellt und kann so über bisherige Grenzen hinweg zirkulieren“, erklärt Anna Goldhofer. Im Alltag kennen wir das bereits von Auto-Sharing-Diensten. Statt ein eigenes Auto zu besitzen, „leiht“ man sich für einzelne Fahrten eines aus. Und zahlt am Ende nur für den Weg, den man zurückgelegt hat.
Hersteller, die Küchenmöbeln zum Ausleihen anbieten, gibt es aktuell leider kaum. Bei E-Geräten sieht das schon anders aus: Das Start-Up BlueMovement, unterstützt und gefördert von Bosch, bietet ein Abo-Modell an, in dem Küchengeräte gemietet werden können. Das ist nachhaltig und erlaubt zudem einen flexiblen Lebensstil.

Fazit: Küchenbranche und Kreislaufwirtschaft – gemeinsam möglich

Das Angebot von nachhaltigen Produkten wird in Zukunft kein Alleinstellungsmerkmal mehr sein, sondern ein Muss. Davon ist Anna Goldhofer überzeugt. Für Kundinnen und Kunden heißt das: Nachfragen und vergleichen wird immer wichtiger: Welcher Hersteller meint es ernst in Sachen Nachhaltigkeit? Welchen Beitrag kann ich selbst zu einer umweltfreundlicheren Zukunft beitragen? Kommen geliehene oder generalüberholte Geräte für meine Küche in Frage?
Bei all der Bemühung sollten wir stets positiv in die Zukunft blicken: „Der Bericht zeigt, dass es noch möglich ist, das Ziel zu schaffen, die Erderwärmung nicht über 2 Grad steigen zu lassen. Das geht aber nur, wenn sofort gehandelt wird“, ruft die Expertin auf.
Auch für die Hersteller hat die Mentorin noch eine wichtige Botschaft: „Auch kleine Verbesserungen machen sich durch hohe Stückzahlen stark bemerkbar. Große Veränderungen können ganze Märkte aufrütteln. Wir brauchen beides. Mit Mut, Engagement, Schnelligkeit und vor allem der Erkenntnis, dass die Industrie nicht aus irgendwem, sondern uns allen besteht.“ Dem können wir uns nur anschließen.

Lisa Demmel
Lisa Demmel
Party-Mittelpunkt, Home-Office, Frühstücks-Platz: An die perfekte Küche hat unsere Redaktionsleiterin viele Ansprüche. Beim Kochen sind für sie Schnelligkeit und Effizienz wichtig, bei der Ästhetik wiederum Formgefühl und Nachhaltigkeit. Um ihre Küche noch organisierter, funktionaler oder schöner zu machen, durchforstet sie das Internet nach eindrucksvollen Trends, smarten Geräten und cleveren Hacks.