Außen stilprägend, innen hochfunktional: Was früher für Autos galt, gilt heute auch für Backöfen. Doch gibt es einen Kipppunkt, an dem die Ästhetik wichtiger wird als die Technik? Ganz im Gegenteil, sagen die Designexperten von Gaggenau, Sören Strayle und Alexander Stuhler. Bei einem gemeinsamen Interview in München verraten sie uns, wieso dieses Spannungsfeld die besten Ergebnisse hervorbringt, warum Feedback manchmal schmerzt – und weshalb Autos auch in der Küchenbranche eine wichtige Rolle spielen.
Gaggenau & Design: Leiser Luxus als Erfolgsgeheimnis
Laute Eigenwerbung? Bei Gaggenau undenkbar. Der Hersteller luxuriöser Küchengeräte lässt seine Produkte für sich sprechen, die so zeitlos wie modern sind – und stets vollkommen durchdacht. Backöfen, Kochfelder und Kühlschränke werden so zu ästhetischen Objekten, die Funktion und Design, Tradition und Avantgarde auf unnachahmliche Art und Weise miteinander verbinden.
In der Theorie scheinen die Zutaten dafür klar: Qualität als Basis. Zu gleichen Teilen Bedienkomfort und Technik. Ein guter Schuss Ästhetik. Und eine ordentliche Prise Innovationsstreben. Diese einzelnen Elemente zu einem gelungenen Ergebnis auszubalancieren, ist die Aufgabe der Designer. Sie sind sozusagen die Sterneköche der Produktion. Dass dabei – wie in einem Spitzenrestaurant auch – der ein oder andere Gang daneben geht, scheint logisch. Und auch, dass es manchmal die feinen Unterschiede sind, die das Resultat besonders gelungen machen.
Wie unterschiedlich diese Kombination aussehen kann, zeigen die jüngsten Neuheiten von Gaggenau: Dank dunklem, gebürstetem Edelstahl und durchdachtem, interaktivem Lichtkonzept wird ein Kühlschrank zum Design-Möbelstück. Zugleich scheint sich ein Induktionskochfeld in Luft aufzulösen und beeindruckt vor allem beim Design paradoxerweise damit, dass es nahezu nicht vorhanden ist. Oder täuscht das?
Funktionalität und Ästhetik – Freunde oder Feinde?
Ein Interview mit Gaggenau Designer Sören Strayle und Alexander Stuhler
Küchen&Design Magazin: Alexander, Sie sind Industriedesigner. Sören, Sie wiederum User Interface-Designer. Wie muss man sich Ihren Arbeitsalltag bei Gaggenau vorstellen?
Alexander Stuhler: Super abwechslungsreich! Wir haben bei Gaggenau das Glück, dass wir als Designer den kompletten Weg eines Produktes begleiten: von der ersten Skizze bis zur Präsentation bei der „Design Week“ in Mailand. Dadurch baut man eine Beziehung zu dem Gerät auf – es wird fast etwas Persönliches.
Sören Strayle: Das stimmt. Am Anfang eines jeden Projekts steht das „Ausprobieren“. Nach und nach zeigt sich, was auch im Alltag funktioniert. Und so plant man immer wieder um, erweitert seine Grundidee – oder streicht etwas weg.
KDM: Unterscheidet sich das Endergebnis also stark von den ursprünglichen Skizzen?
Sören Strayle: Mehr, als die Käuferinnen und Käufer meinen mögen. (lacht) Manche Ideen lassen sich technisch nicht umsetzen, andere sind vielleicht sogar ihrer Zeit voraus. Änderungen haben viele Gründe. Design bedeutet auch immer, Kompromisse einzugehen. Natürlich loten wir dabei die Grenzen aus: Wie weit kann man gehen, ohne dass die Funktionalität darunter leidet? Um das herauszufinden, haben wir sogenannte „Provotypes“ entwickelt…
KDM: Provotypes? Klingt gefährlich…
Sören Strayle: Das ist eine Mischung aus „Provokation“ und „Prototype“. Diese „Provotypes“ testen wir auf Herz und Nieren und holen uns zusätzlich internationales Feedback von Kundinnen und Kunden aus aller Welt. Dabei haben wir schon allerlei Überraschungen erlebt…
Alexander Stuhler: Ja, oft werden nach diesen „Feedback-Runden“ noch Änderungen vorgenommen. Letztlich geht es darum, dass Technik, Usability, Ästhetik und Design im Einklang stehen – und die zukünftigen Nutzerinnen und Nutzer begeistert sind. Manchmal entwickeln sich Geräte ganz anders als die Ursprungsidee. Aber: Es gibt immer Elemente, die im Produkt bleiben. Das, was unsere Kundinnen und Kunden dann auf dem Markt sehen, ist die Essenz unserer besten Ideen.
KDM: Ist solch eine Feedback-Runde – oder auch die Präsentation auf einer Messe – nicht ein sehr persönlicher Moment für euch?
Alexander Stuhler: Klar – und der kann auch wehtun. (lacht)
Sören Strayle: Wichtig ist aber: Das Feedback, das man bekommt, sagt einem als Designer nicht, was man zu tun hat. Sondern hilft, die richtige Entscheidung zu treffen. Jeder Kunde und jede Kundin hat eine individuelle Perspektive.
Alexander Stuhler: Und es ist unsere Aufgabe, die Meinungen am Ende auszuwerten und zu abstrahieren. Herauszulesen: Welche Bedürfnisse stecken dahinter. Das klingt hart, ist aber gleichzeitig auch sehr schön. Denn Gestaltung löst Emotionen aus – und die können sehr unterschiedlich sein. Glücklicherweise ist die Resonanz meist sehr positiv. Und wenn man die beeindruckten Gesichter bei der Enthüllung sieht… dafür macht man’s.
KDM: Ganz ehrlich: Gab es schon Entwürfe, die komplett verworfen werden mussten?
Sören Strayle: Logisch!
Alexander Stuhler: Das ist unser daily business. (beide lachen)
KDM: Passiert das wirklich so oft?
Alexander Stuhler: Es gehört zum Alltag eines Designers: Manche Ideen bleiben Ideen. Das können Skizzen sein, aber auch bereits existierende Modelle. Wir haben bei Gaggenau sogar ein Lager für solche Versuche. Da gehe ich manchmal hin und lasse mich noch einmal inspirieren.
Sören Strayle: Manche Ideen tauchen nach Jahren wieder auf. Und manche eben nie wieder. Aber das ist völlig in Ordnung, denn nur so entwickeln wir uns als Designer weiter – und damit auch die Marke.
KDM: Aktuell ein neues Kühlgerät – im Herbst eine neue Backofen Reihe. Viele Visionen werden Realität…
Sören Strayle: Das freut uns enorm! Wir haben es geschafft, die richtigen Aspekte aus den unterschiedlichsten Bereichen so zusammenzubringen, dass das Ergebnis alle Bedürfnisse erfüllt – und so die Kundinnen und Kunden begeistert.
Alexander Stuhler: Und nicht nur die! Vor kurzem war ich in unserem Werk in Frankreich. Hier werden unsere Ideen zum Leben erweckt. Das zu sehen, und vor allem die Menschen kennenzulernen, die das alles umsetzen, war beeindruckend. Die Wertschätzung für Design ist auch in der Gaggenau Fabrik spürbar.
KDM: Wie heißt es so schön: Nach dem Produkt ist vor dem Produkt. Woher nehmen Sie Ihre Inspiration?
Sören Strayle: Das Wichtigste ist, aufmerksam durch die Welt zu gehen. Nach draußen zu schauen. Für mich, als User Interface-Designer sind außerdem die Automobil- und die Interieurbranche höchst spannend. Bei Gaggenau eilen wir keinen kurzlebigen Trends hinterher. Die Lebenszyklen der Geräte sind viel länger – und damit auch die Entwicklungszyklen. Manchmal arbeiten wir bis zu zehn Jahre an einer neuen Idee. Das ist vielleicht am ehesten noch mit der Automobilindustrie vergleichbar. Und überraschenderweise sind es ähnliche Fragen, die man sich stellen muss: Wie erregt man Aufmerksamkeit? Wie führt man die Nutzerinnen und Nutzer? Wie intuitiv ist die Bedienung wirklich?
Alexander Stuhler: Natürlich verfolgen wir auch,was aktuell angesagt ist. Trends, wie z.B. Dopamine Decor, finde ich wichtig und richtig. Doch wenn wir all diesen Strömungen folgen würden, würden wir die Marke Gaggenau und das Design so verwässern, dass sie nicht mehr wiederzuerkennen wäre. Da wir aber nicht stoisch denken, verschließen wir uns nicht vollkommen vor Neuem – vielmehr lesen wir sehr fein heraus: Was ist es, was von diesem Trend bleibt? Davon nehmen wir eine Pipette statt des ganzen Farbtopfes. So bewahren wir die Tradition von Gaggenau und führen sie in die Moderne.
Sören Strayle: Ein gutes Beispiel dafür ist das neue Kühlgerät von Gaggenau: Optisch sind die Veränderungen sehr subtil – und doch ist der erste Eindruck dank des dunklen Edelstahls ein völlig anderer.
„Von Trends nehmen wir eine Pipette statt des ganzen Farbtopfes“
Alexander Stuhler
KDM: Tradition trifft also auf Moderne. Wie steht es mit Funktion versus Design?
Sören Strayle: Es ist gar kein „gegeneinander“ – es ist ein „miteinander“. Gaggenau ist keine Designermarke. Denn das wäre Design zum Selbstzweck, also Styling. Gaggenau ist vielmehr eine Marke, die Design wertschätzt. Das darf man nicht verwechseln.
Alexander Stuhler: Deshalb achten wir sehr darauf, Tradition und Avantgarde miteinander zu verbinden. In der Praxis heißt das: Progressives trifft auf Vertrautes. So entsteht ein interessantes Spannungsfeld, das ein Produkt hervorbringt, das modern und zeitlos zugleich ist. Ein Gerät, das heute und in zehn Jahren ästhetisch ist. Und manchmal nimmt sich das Design zurück, um dem Produkt mehr Raum zu geben – wie bei der „vollintegierten Induktion“, dem unsichtbaren Induktionskochfeld. Hier wäre es ein Leichtes gewesen, ein Logo von Gaggenau zu platzieren oder einen Rahmen anzudeuten. Aber es ging darum, dass nichts zu sehen ist. Auch das ist Design.
KDM: Sprachsteuerung, Touchscreen, Künstliche Intelligenz: Fragen Sie sich auch manchmal, welchen Weg Sie einschlagen sollen?
Sören Strayle: Tradition ist auch hier ein wichtiges Stichwort: Die Geräte von Gaggenau sind stark geprägt von haptischem und akustischem Feedback. Unsere Bedienknebel sind unser Markenzeichen. Unsere Bedienknebel sind unser Markenzeichen. Dennoch haben wir bei unserem neuen Backofen (Anm.: Vorstellung in Deutschland im Herbst 2024) die Anzahl der Knebel von zwei auf einen reduziert, um im wahrsten Sinne des Wortes offen für die Zukunft zu sein. Sie werden sehen … Ob ich das überhaupt schon verraten darf? (lacht)
Aber natürlich: Bei jedem neuen Projekt fragen wir uns: Wie weit können wir gehen? Was bleibt, was geht? Darauf gibt es bei Gaggenau keine pauschalen Antworten. Es ist immer eine individuelle Reise.
Alexander Stuhler: Ähnliches gilt für die künstliche Intelligenz. Derzeit sind die Ergebnisse solcher Programme eher unterhaltsam als inspirierend. Aber sie werden immer besser – und können den Werkzeugkasten eines Designers erweitern. Es wird ein Tool unter vielen sein. Dennoch wird es auch in Zukunft den Designer und die Designerin brauchen, um zu entscheiden, welches Werkzeug in diesem Fall das richtige ist.
KDM: Wie schwierig ist es, bei der rasanten technologischen Entwicklung auf Nachhaltigkeit zu achten?
Sören Strayle: Je mehr moderne Technik in einem Produkt steckt, desto wichtiger ist die Nachhaltigkeit des Designs. Wir achten sehr darauf, den ökologischen Rucksack so klein wie möglich zu halten. Da der Produktionsaufwand gleich bleibt, macht es einen großen Unterschied, ob der Lebenszyklus eines Gerätes ein Jahr oder ein Jahrzehnt beträgt.
Die gestalterische Grundidee der Vollglastüre bei unseren Backöfen zum Beispiel ist 17 Jahre alt. Natürlich hat es im Hintergrund technische Verbesserungen gegeben, wie bei der Energieeffizienz. Aber die „Basis“ blieb unverändert, und dank ihres zeitlosen Designs sprechen sie unsere heutige Kundschaft genauso an wie vor fast zwei Jahrzehnten. Da sich die Technik aber immer schneller verändert, muss man abwarten, ob die Lebenszyklen unserer neuen Geräte ähnlich lang sein werden. Ich bin aber sehr zuversichtlich.
KDM: Auch die Grundrisse haben sich verändert – die offene Wohnküche ist beliebt wie nie. Wie steht ihr als Designer dazu?
Sören Strayle: Zunächst muss man sagen: Eine Küche ist immer noch eine Küche – also ein funktionaler Ort, an dem ich Materialien transformiere. Die technischen Anforderungen sind also bei einer offenen Wohnküche die gleichen wie bei einer geschlossenen Küche. Die Frage als Designer ist demnach: Wie werde ich optisch wohnlicher und bleibe trotzdem funktional?
Es geht darum, dass ich Geräte nicht verstecken muss, sondern sie bewusst als Teil meiner Einrichtung inszeniere. Und das war schon immer der Design-Anspruch von Gaggenau: Von der Kaffeemaschine bis zum Weinschrank lassen sich alle Produkte problemlos in eine offene Umgebung integrieren. Denn sie tragen nicht nur den Gerätecharakter in sich, sondern noch viel mehr.
Alexander Stuhler: Genau. Früher habe ich einfach die Tür zugemacht, heute sehe ich den Ofen vielleicht vom Sofa aus – oder eben nichts, wie bei der „vollintegrierten Induktion“. Das Design wird also noch wichtiger. Als Gestalter finde ich das wunderbar, weil es eine Wertschätzung ist: gegenüber dem Kochenden, aber auch gegenüber dem Gerät. Wie eine Bühne des Lebens.
>> Von der Design-Theorie in die Geräte-Praxis: Unter dem folgenden Link finden Sie autorisierte Gaggenau-Händler in Ihrer Umgebung, die Sie zu den exklusiven Einbaugeräten beraten können. Und bleiben Sie gespannt – im Herbst erwarten Sie weitere News der Luxusmarke.
Über die Designer
Alexander Stuhler- Senior Industrial Designer bei Gaggenau
Er hat ein besonders gutes Auge: Alexander Stuhler ist nicht nur Industriedesigner, sondern auch Fotograf. Ob am Skizzenblock oder hinter der Kamera – durch seine langjährige Erfahrung als Produktdesigner weiß der Schwabe, dass jede Herausforderung auch eine Chance ist. Seit neun Jahren gestaltet Alexander Stuhler die Geräte von Gaggenau mit. Sein Highlight in diesem Jahr: die EuroCucina in Mailand. Nach einer sehr langen Entwicklungszeit wurden hier die neuesten Kühlgeräte der Vario Serie 400 präsentiert – zudem gab es ein Sneak Peak auf die neuen Backöfen. Hier sah Alexander Stuhler zum ersten Mal die finalen Reaktionen der Kunden auf die neuen Geräte.
Sören Strayle – Leiter User Interface bei Gaggenau
Der studierte Produktdesigner ist seit 2004 für Gaggenau tätig. Vom Espresso-Vollautomaten bis zum Backofen – als Spezialist für User Experience „sieht“ Sören Strayle auch mit den Händen. Das hat er wohl mit seinem Vater gemeinsam, denn der war Bäckermeister. Aber es gibt noch eine weitere, fast schicksalhafte Überschneidung: Als Sören Strayles Vater einen Backofen für zu Hause suchte, der qualitativ dem Profi-Ofen in seiner Bäckerei entsprach, wurde er damals nur bei einem Hersteller fündig. Und das war Gaggenau.