Ton, Steine, Scherben: mexikanische Tontöpfe für Slow Food

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Der Ton macht die Musik. Im Falle Mexikos trifft das nicht nur auf den Klangkörper zu, sondern auch auf bauchige Töpfe, die aus dem gleichnamigen Material geformt und seit Jahrhunderten Bestandteil der traditionellen mexikanischen Küche sind. Tontöpfe, sogenannte „cazuelas“, werden mit Vorliebe zum Aufkochen der oftmals sehr fleischlastigen Gerichte verwendet, die in Mexiko kurzerhand auf den Tisch gestellt und mit der ganzen Familie geteilt werden.

In Zeiten hochmoderner Induktionskochfelder, welche Mahlzeiten schnell, effektiv und zeitgleich erwärmen sollen, muten die etwas schwerfälligen Tontöpfe fast rührend altmodisch an, weil man für sie vor allem eines braucht: Geduld. Eile mit Weile. Tontöpfe dürfen weder schnell erwärmt noch abgekühlt werden, weil der poröse Ton sonst schnell rissig werden oder platzen kann. Auch der Kochvorgang selbst nimmt eher Stunden als Minuten ein. Warum also erleben Tontöpfe gerade ihr Comeback auf heimischen Herden – auch außerhalb von Mexiko?

In Mexiko sind Tontöpfe ein fester Bestandteil der traditionellen Küche. Gekocht wird in kleinen und großen Tontöpfen, bauchigen und ovalen Gefäßen, auf offenem Feuer oder in modernen Backöfen. (Foto: Damian/stock)
In Mexiko sind Tontöpfe ein fester Bestandteil der traditionellen Küche. Gekocht wird in kleinen und großen Tontöpfen, bauchigen und ovalen Gefäßen, auf offenem Feuer oder in modernen Backöfen. (Foto: Damian/stock)

Kochen mit Ton: eine jahrtausendealte Tradition – weltweit

Um zu verstehen, was Kochen mit Ton so unverzichtbar für die mexikanische Küche und ebenso attraktiv für den europäischen Verbraucher macht, muss man sich mit der Grundmaterie auseinandersetzen. Im Gegensatz zu modernen, synthetischen Verbundwerkstoffen ist Ton ein in der Natur vorkommender Rohstoff. Das faszinierend wandelbare Material begegnet uns an vielen Punkten des täglichen Lebens: angereichert mit Sand und Sedimenten erhält man Lehm, der bereits vor tausenden von Jahren als Werkstoff zum Häuserbau genutzt wurde. Setzt man Kalkstein hinzu, kann daraus Zement erschaffen werden. Und in der Verbindung mit Kaolin wiederum kennen wir Ton als Keramik, die uns, mal glasiert und mal unglasiert, als Porzellan, Fliese, Vase oder im Töpferhandwerk begegnet.

Ton hat eine jahrtausendealte Historie, die sich auf der ganzen Welt in traditionellem Kochwerkzeug niedergeschlagen hat. Was den Marokkanern ihre Tajine, ist des Deutschen Römertopf. Auch in der Türkei (Güvec-Topf), Japan (Donabe Sakura) oder Spanien (Cazuelas) kocht man seit vielen Jahrhunderten mit feuerfesten Tonerzeugnissen, die sich besonders gut zum Schmoren von Fleisch, Fisch und Gemüse eignen. Man könnte auch sagen: Dampfgaren im eigenen Saft. Überrascht?

Das Naturmaterial Ton ist faszinierend wandelbar. Mit Wasser und Kaolin versetzt wird es zur Keramik, die uns seit Jahrtausenden in Form von Krügen, Töpfen und Tassen begleitet. (Foto: Quang Nguyen Vinh)
Das Naturmaterial Ton ist faszinierend wandelbar. Mit Wasser und Kaolin versetzt wird es zur Keramik, die uns seit Jahrtausenden in Form von Krügen, Töpfen und Tassen begleitet. (Foto: Quang Nguyen Vinh)

Die Vorteile von Ton: speichert Feuchtigkeit und gibt diese nach und nach ab

Den Tontopf als Vorläufer des heutigen Dampfgarers zu bezeichnen, würde den modernen, hochentwickelten technologischen Geräten vermutlich Unrecht tun. Dennoch arbeitet ein solches Gefäß mit genau dieser Technik. Ton ist ein sehr poröses Material, was ihn dank des Brennvorgangs zwar vom Auseinanderfallen abhält, aber dennoch geschickt zum langlebigen Köcheln von Schmorgerichten, Aufläufen und Currys macht.

Der Clou: taucht man Tontöpfe vor der ersten Zubereitung einige Minuten vollständig unter Wasser, saugen sich die durchlässigen Innenwände mit Feuchtigkeit voll und speichern diese. Beim Erwärmen des Tonguts sowie der darin befindlichen Zutaten drängt der feuchte Nebel anschließend durch die Poren zurück ins Topfinnere und erzeugt so den typischen Vorgang des Dampfgarens. Kochen im Tontopf funktioniert daher in der Regel auch ohne zusätzliche – oder lediglich die minimale – Zugabe von Wasser. Somit bleiben die Nährstoffe der im eigenen Saft köchelnden Zutaten weitestgehend erhalten und erzeugen ein intensives Aroma.

Spannend: das alte Material erfüllte schon damals eine als modern angesehene Form des Kochens - das Schmoren im eigenen Saft, quasi das sogenannte Dampfgaren. (Foto: Vincent Janssen)
Spannend: das alte Material erfüllte schon damals eine als modern angesehene Form des Kochens – das Schmoren im eigenen Saft, quasi das sogenannte Dampfgaren. (Foto: Vincent Janssen)

Sanftes Erwärmen und Abkühlen: sonst bleiben nur Scherben übrig

Ebenfalls zuträglich für den Erhalt von Vitaminen und Nährstoffen ist die sanfte, langlebige Wärmezufuhr. Während komplexe Vitaminstrukturen durch eine schnelle Erhitzung nachhaltig zerstört werden können, findet dieser Vorgang schon aus technischen Gründen nicht im Tontopf statt. Das empfindliche Material würde bei unvermittelter Wärmezufuhr zerbrechen, da die aus Ton entwickelte Keramik keinen Temperaturschocks standhält. Das gilt für Wärme wie für Kälte – vom kostbarem Ton bleiben dann schnell nur noch Scherben übrig.

Ist ein Tontopf aber erst einmal erwärmt, überzeugt das Gefäß mit seiner Eigenschaft der Wärmespeicherung und Leitfähigkeit. Die Wärme des Backofens wird so nach und nach an das Gargut abgegeben und sorgt auch nach Beendigung des Kochvorgangs für eine beständige Intensivierung des Geschmacks sowie ein natürliches Warmhalten der Speisen. Einmal vorbereitet, erledigt der Topf also den Großteil des Geschehens von allein.

Das poröse Material, das die Flüssigkeit beim Kochen aufnimmt und durch Erwärmung sanft wieder verdampft, darf nur langsam erhitzt werden, um nicht zu zerspringen. Eine etwas andere Variante des "Slow Food". (Foto: Dary Maltseva)
Das poröse Material, das die Flüssigkeit beim Kochen aufnimmt und durch Erwärmung sanft wieder verdampft, darf nur langsam erhitzt werden, um nicht zu zerspringen. Eine etwas andere Variante des „Slow Food“. (Foto: Dary Maltseva)

Es ist schön, dass Sie sich bis hierhin für diesen Artikel Zeit genommen haben. Denn genau das benötigen Sie auch für das Kochen mit Tontöpfen. Im Gegensatz zum früheren Kochen über dem offenen Feuer müssen Sie Ihren Tontopf heute nicht mehr vorsichtig an die heißen Flammen heranziehen und mehrmals wenden, bevor das Gefäß – so heiß, dass man es nur behandschuht anfassen sollte – auf Temperatur ist für die weitere Nahrungszubereitung.

Dennoch muss ein Tontopf, der sowohl auf Gasherden, Grills wie auch in modernen Backöfen wunderbar Verwendung findet, immer auf niedrigster Temperatur erwärmt und dann langsam erhitzt werden. Praktisch gesehen ist auch dieser Nachteil ein Vorteil. Sie müssen den Backofen nie mehr vorheizen, sondern stellen den Tontopf mitsamt seiner Zutaten einfach in den kalten Garraum, der sich dann parallel zum Gefäß vorsichtig erwärmt. Das vereint gleich mehrere Trends: naturbelassenes Material, nachhaltiges Kochen – und im wahrsten Sinne des Wortes „Slow Food“. Quod erat demonstrandum.

Das vorsichtige Erwärmen hat auch geschmacklich bedeutende Vorteile: wertvolle Vitamine bleiben in Tontöpfen erhalten und das Aroma des köchelnden Suds zieht kräftig durch. (Foto: photo168/stock)
Das vorsichtige Erwärmen hat auch geschmacklich bedeutende Vorteile: wertvolle Vitamine bleiben in Tontöpfen erhalten und das Aroma des köchelnden Suds zieht kräftig durch. (Foto: photo168/stock)

Mexiko und die Tontöpfe: traditionelles Kochen mit Feuer und Tontopf

Im traditionsvernarrten Mexiko sind Tontöpfe in der einheimischen Küche trotz moderner Einbaugeräte nach wie vor keine Seltenheit. Was vorher in der Molcajete, der mexikanischen Steinversion von Mörser und Stößel, zu einer duftenden Gewürzpaste verarbeitet oder in der Licuadora, dem Standmixer, zu einer fruchtig-feurigen Salsasauce vermengt wurde, findet seinen Weg in einen Tontopf, der besonders für die landesweit beliebten Chili-Gerichte eine ideale Grundlage zum Köcheln und Eindicken darstellt.

Wer dann noch eine Tortillapresse (prensa para tortillas) zur Hand hat, trifft auch außerhalb von Mexiko garantiert immer den richtigen Ton. Und übt sich selbst in Ruhe und antiquierter Kochkunst. In Zeiten von schnelllebigen Induktionsherden eine willkommene Abwechslung – oder auch die Wiederentdeckung der Langsamkeit. Viva México!

Wild bemalte Tontöpfe machen die mexikanische Küche nicht nur feurig und aromatisch, sondern auch unvergleichlich schön. Zum Glück lassen sie sich auch in der modernen Küche zum Einsatz bringen. (Foto: Sidney Pearce)
Wild bemalte Tontöpfe machen die mexikanische Küche nicht nur feurig und aromatisch, sondern auch unvergleichlich schön. Zum Glück lassen sie sich auch in der modernen Küche zum Einsatz bringen. (Foto: Sidney Pearce)

Lesen Sie mehr zum Thema Mexiko, beispielsweise über die Entstehung des kräftigen Agavenschnapses Mezcal, über die Kunst der Frida Kahlo und zum klassisch-zeitlosen Acapulco Chair in der neuen Ausgabe 01/2020 des Küchen&Design Magazins [Print]

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Susanne Maerzke
Susanne Maerzke
Kochen ist Lebensfreude, Zeit mit Freunden, Belohnung, Versöhnung, Hobby und Genuss. Auch unsere Redakteurin sieht die Küche als das Herzstück der Wohnung – schließlich endet jede gute Party zurecht in der Küche neben den letzten Käsehäppchen und einem Glas Wein. Es lohnt sich also definitiv, sein Augenmerk auf die Ausstattung der Küche zu richten und mal bei den neuesten Trends, Geräten und Designern nachzuhaken: auch als Gesprächsgrundlage für die nächste Feier.

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