Designmöbel aus Leinen von Pauline Esparon: die Poesie des Rustikalen

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Sie wachsen an den rauen, felsigen Steilküsten des Pays de Caux und erstrecken sich bis zu den Wiesen des Département Eure: Leinblüten. Jedes Jahr im Juni taucht die wildromantische Normandie für kurze Zeit in ein Meer zartblauer Farben ein. Dabei blüht die Flachspflanze, aus deren Faser der berühmte Naturstoff Leinen gemacht wird, nur an wenigen Tagen im Jahr auf – und die einzelnen Blüten verwelken noch vor Sonnenuntergang. Nachdem sie lange Zeit im Schatten der Baumwolle stand, erlebt die nachhaltige Leinenfaser heute zunehmend ihre zweite Blüte – und verflechtet sich innovativ und kunstvoll in den Möbeln und Wohntextilien der normannischen Designerin Pauline Esparon.

Designmöbel aus Leinen von Pauline Esparon
Bank aus der Kollektion „L’Ecoucheur“: Pauline Esparon rückt mit ihren innovativen Möbelentwürfen die Leinenfaser in den Fokus der internationalen Designszene. (Foto: Stéphane Ruchaud)

Comeback der Leinenfaser: nachhaltig, robust und wandelbar

„C‘est juin qui fait le lin“ (dt. im Juni wächst der Lein), besagt ein normannisches Sprichwort. Wer das Spektakel der Leinblüte einmal selbst erleben möchte, plant am besten einen Fahrradausflug entlang der Véloroute du Lin: Der 75 Kilometer lange, nahezu autofreie Radwanderweg schlängelt sich durch das Hinterland der Alabasterküste, vom kleinen Ort Pourville-sur-Mer bis zu den Klippen von Fécamp.

Die Haute Normandie gilt seit jeher als Hauptanbaugebiet der Flachspflanze. Über 55% der weltweiten Leinproduktion stammen heute aus der Region. Der Anbau ist dabei wesentlich nachhaltiger als jener der Baumwolle: Flachs kommt ohne zusätzliche Bewässerung und ohne chemische Herbizide aus. Geerntet und verarbeitet wird mechanisch und ebenfalls ohne Chemikalien.

Leinenfelder. (Foto: Adobe Stock / Duverbaynes)
Kurz nach der Blütezeit im Juni folgt die Ernte: zur natürlichen Trocknung wird die Flachspflanze auf den Feldern ausgelegt. (Foto: Adobe Stock / Duverbaynes)

Leinen ist besonders strapazierfähig und damit außergewöhnlich langlebig, von Natur aus antibakteriell und atmungsaktiv – und extrem wandelbar. Sein vielseitiges Verwendungsgebiet reicht dabei von Bett- und Tischwäsche über Kleidung bis hin zu Pflegeprodukten und kulinarischen Spezialitäten. Eher überraschend in dieser Auflistung ist die Verwendung für: Möbel.

Pauline Esparon: Möbel aus Leinen mit regionaler Botschaft

Die französische Jungdesignerin Pauline Esparon kreiert Möbel und Wohntextilien aus Leinen und verwandelt die Naturfaser in zugleich kunstvolle und lebensnahe Designobjekte. Dabei spielt sie mit der Rauheit und Ursprünglichkeit des Materials und kreiert außergewöhnliche Stücke von ungeschliffener Schönheit. Esparon rückt damit zunehmend in den Fokus der Kunst- und Design-Szene: Das renommierte Magazin Architectural Digest wählte die Normannin jüngst unter die 100 besten Designerinnen und Designer für 2021.

Pauline Esparon
Der Wandteppich mit Volants aus Flachsfasern zeigt, wie spannend Leinen sein kann: Der facettenreiche Mix aus Farben und Texturen lässt eine aufregende Optik entstehen. (Foto: Stéphane Ruchaud)

Ihre Kollektion „L’Ecoucheur“ erfüllt dabei nicht nur einen ästhetischen, sondern auch einen nachhaltigen Auftrag: Im Gegensatz zur herkömmlichen Vorgehensweise in Europa, bei der 80 Prozent der Flachspflanzen nach der Ernte in China gekämmt, gesponnen, gewebt und anschließend für die finale Verarbeitung reimportiert werden, möchte Pauline Esparon mit ihrer Arbeit auf das Paradoxon aufmerksam machen und setzt ausschließlich auf regionale Produktion. In Zusammenarbeit mit Handwerksbetrieben vor Ort soll lokales Know-How in der Normandie gestärkt werden.

Roh, archaisch, ursprünglich: innovative Gestaltung nah an der Natur

In ihrem Atelier inmitten der natürlichen Landschaft der Normandie tritt die Absolventin der Designakademie Eindhoven in den Dialog mit vergessenen Naturmaterialien. Pauline Esparon sammelt Tierskelette, Gemüse oder Steine und lässt ihre Vorstellungskraft von der Ursprünglichkeit der Materialien beflügeln.

Pauline Esparon
Im Dialog mit der Natur: Pauline Esparon lässt sich von Fundstücken wie Hölzern, Pflanzen und Gemüse inspirieren. (Foto: Jonas Gorgen)

„Meine Arbeit dreht sich immer um den Begriff ‚roh‘, eine Form des Archaismus.“

Pauline Esparon

Dabei versucht sie weniger, die Dinge zu transformieren; als vielmehr, sie wiederzuentdecken und ihren Primärzustand vor der Standardisierung durch die Industrie zu konservieren. Ihre Vorgehensweise beschreibt sie dabei als „empirisch, intuitiv und rustikal“: Die studierte Designerin mit Stationen in Paris, London und Lausanne tritt in den Dialog mit der Materie und hebt sie aus ihrer Trägheitsform heraus auf ein neues Level ihrer selbst.

Pauline Esparons Möbel und Textilien aus Leinen haben auf den ersten Blick in der Tat nichts mit dem bekannten, industriellen Leinenstoff gemein. Ihre Objekte, darunter Hocker, Bänke, Teppiche und Decken, zeigen vielmehr den ursprünglichen Charakter der Flachsfaser und schaffen gleichermaßen den Sprung zu formschönen – und nachhaltigen – Designobjekten, die das Wesen der Normandie visuell auf den Punkt bringen: rau, ursprünglich, atemberaubend.

Pauline Esparon auf Instagram: @paulineesparon

Julia Dau
Julia Dau
Das Gefühl grenzenloser Freiheit beim Entdecken einer dampfenden Köstlichkeit in den Garküchen Asiens, wohlige Aufregung beim Anschneiden eines perfekt gegarten Steaks, und manchmal auch Pioniergeist, wenn der Kern des Lava Cake zum ersten Mal weich und unverschämt herrlich duftend über den Teller fließt: Kochen und Essen ist für unsere Redakteurin Abenteuer, Experiment und pure Harmonie. Als studierte Informationsdesignerin mit Leidenschaft für Ästhetik, Innenarchitektur und gutes Essen fasziniert sie besonders, wie alle Sinne in der Küche – und auch ein bisschen in unserem Magazin – verschmelzen.

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